Weniger Bürokratie, kürzere Verfahren und endlich Abhilfe gegen den Fachkräftemangel: das erhoffen sich die grünen Politikerinnen Fadime Tuncer und Misbah Khan vom „modernsten Einwanderungsrecht, das Deutschland und die EU je hatten“. Über das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz informierten die Landtagsabgeordnete und ihre Kollegin aus dem Bundestag im Rahmen des Veranstaltungsformats „Talk mit Tuncer“. Rund 40 Besucher:innen waren zum Gesprächsabend in das Alte Rathaus in Weinheim gekommen.
„Der Arbeitsmarkt braucht rein rechnerisch 400 000 Menschen zusätzlich zur aktuellen Einwanderung“, berichtete Khan, die das rheinland-pfälzische Bad Dürkheim in Berlin vertritt. „Jedes Jahr verzeichnet Deutschland einen Wirtschaftsverlust von 86 Milliarden Euro wegen nicht- oder fehlbesetzter Stellen.“ Das könne sich Deutschland als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt nicht leisten. Schon jetzt sind 15 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zugewandert. „Aber angesichts des demografischen Wandels braucht Deutschland deutlich mehr Fach- und Arbeitskräfte aus dem Ausland“, sagte Fadime Tuncer.
Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, dessen zweite Stufe zum 1. März in Kraft trat, soll vieles erleichtern. Wer zwei Jahre Berufserfahrung und einen im Drittland anerkannten Berufs- oder Hochschulabschluss vorzuweisen hat, darf künftig als Arbeitskraft in Deutschland einwandern. Eine deutsche Anerkennung des Abschlusses ist nur noch bei reglementierten Berufen wie zum Beispiel den Heil- und Lehrberufen notwendig. Das ist eine von mehreren Neuerungen, die vor allem das Handwerk und den Mittelstand in Deutschland entlasten sollen.
Auch Asylbewerber, die bis März 2023 Asyl beantragt hatten, eine Qualifikation und ein Jobangebot vorweisen können, sollen nun von Deutschland aus den Aufenthaltstitel beantragen können. Bislang mussten sie erst wieder ausreisen und aus Nicht-EU-Staaten ein Arbeitsvisum beantragen. Der Familiennachzug wird künftig ebenfalls großzügiger geregelt, wobei Eltern keine Sozialleistungen beantragen dürfen. „Baden-Württemberg beschleunigt auch die Anerkennungsverfahren für Pflege- und medizinische Berufe“, berichtete Fadime Tuncer auf Nachfrage. „Auch da brauchen wir weiterhin die Nachweise und Dokumente der Fachkräfte, weil der Staat eine Sorgfaltspflicht hat und die Standards eingehalten werden müssen“.
Tuncer erinnerte daran, dass die Generation der „Gastarbeiter“ in den 1960er und 70er Jahren nach Ankunft in Deutschland sofort in den Betrieben loslegen konnte. Sie selbst kam als Sechsjährige aus der Türkei nach Mannheim, Misbah Khan siedelte als Vierjährige aus dem pakistanischen Karachi mit ihrer Familie in ein kleines pfälzisches Dorf um.
Heute gebe es viele Integrationsmaßnahmen und der Deutschunterricht sei unabdingbar, sagte Tuncer. Man müsse aber beides kombinieren, bürokratische Hürden abbauen und eine schnellere Arbeitsaufnahme ermöglichen. Bei der Integration würden in Baden-Württemberg auch weiterhin 1200 Integrationsmanager unterstützen.
Dass es künftig einen vernünftigen Mittelweg zwischen angemessener Förderung der Neuankommenden und überbordender Bürokratie braucht, zeigten auch die Erfahrungen der Migrant:innen und Ehrenamtlichen im Publikum. Sie berichteten von ihren täglichen Mühen bei der Begleitung von Asylbewerbenden, von umständlichen Abläufen und komplizierten Formularen, die nicht einmal deutsche Muttersprachler:innen so recht verstünden.
„Deutschland hat sich lange nicht als Einwanderungsland verstanden“, sagte Tuncer. „Es ist höchste Zeit, dass nun endlich ein Umdenken stattfindet.“
Presseartikel wurden in den Print-Ausgaben der Rhein-Neckar-Zeitung und der Weinheimer Nachrichten veröffentlicht.