Die Landtagsabgeordnete Fadime Tuncer mit Weinheimer Geschäftsleuten im Gespräch zu den Herausforderungen im Einzelhandel.
Es sind Läden für Liebhaber, für Menschen mit besonderen Hobbies, für Kundinnen mit Freude an Kreativität und Design: die vier Geschäfte in der Weinheimer Grabengasse. Menschen aus der gesamten Metropolregion reisen an, um im Modelleisenbahn-Fachgeschäft Grimm ein neues Lok-Modell zu erstehen. Im benachbarten Design-Lädchen „Das Lieblingsstück“ lassen sie sich von handgemachten Deko-Objekten zum Kauf inspirieren.
Fehlende Passanten und fehlende Parkplätze erschweren den Einzelhändler:innen jedoch das Geschäft. Über die vielen Herausforderungen, aber auch Chancen des lokalen Einzelhandels, insbesondere jenseits der frequentierten Weinheimer Fußgängerzone, informierten sich jetzt die Landtagsabgeordnete Fadime Tuncer und die grüne Stadträtin Elisabeth Kramer vor Ort.
Stolz präsentiert Joachim Gutjahr, der das Fachgeschäft von 1862 seit 2003 führt, eine Lok der LGB-Zillertalbahn, die für eine Gleis-Landschaft im Garten gedacht ist. „Wir leben von Stammkunden aus der Region, nicht von zufälliger Laufkundschaft“, erklärt der Inhaber. Er wünscht sich deshalb eine bessere Erreichbarkeit, zum Beispiel den Erhalt der Parkplätze auf dem Amtshaus-Parkplatz, und ein funktionierendes Parkleitsystem in Weinheim.
„Dem Einzelhandel muss mehr Wertschätzung entgegengebracht werden“, betont er. Es brauche eine bessere Förderung des lokalen Einzelhandels, pragmatische Ansätze beim Nahverkehr und ein Parkkonzept bei Events in der City. Auch ihm liege der Klimaschutz am Herzen, betont Gutjahr. Er schlägt deshalb vor, emissionsfreie Pendelbusse zwischen den Ortsteilen einzusetzen und am Wochenende Bus und Bahn kostenlos anzubieten.
Auch Regina Mantz, Inhaberin des Woll-Geschäftes „Die Nadel“, wünscht sich, dass ihre Kundinnen mit dem Auto vorfahren könnten. Ihre älteste Kundin ist sage und schreibe 98 Jahre alt. Sie geht am Stock und tut sich mit langen Fußwegen schwer. Das Häkeln hält die alte Dame fit und so kommt sie regelmäßig mit Hilfe ihrer Familienmitglieder zu Frau Mantz.
Überhaupt ist „Die Nadel“ ein schöner Treffpunkt für einen Nachmittagsplausch. Eine Kundin präsentiert ihren selbstgestrickten apricotfarbenen Pulli, eine andere schildert den Grünen-Politikerinnen die Fortschritte ihres Projektes: die Sozialwissenschaftlerin Dr. Renate Breithecker ist die Initiatorin von "Heimathäkeln“, bei dem rund 30 Frauen und ein Mann die Stadt Weinheim mit all ihren Wahrzeichen häkeln. Ab März 2025 wird die wollene Stadt mit Hermannshof, Burgen, Marktplatz, Miramar etc. ausgestellt. „Wir sind dankbar, dass Frau Mantz unser Projekt mit Wollspenden unterstützt“, sagt die Hobby-Künstlerin.
„Hier sieht man wieder, welch wichtige soziale und gesellschaftliche Funktion der Einzelhandel in unseren Kommunen hat“, sagt Fadime Tuncer. „Das geht über den Kauf von Waren weit hinaus und kann von Einkaufszentren auf der grünen Wiese nicht ersetzt werden. Deshalb muss es kreative Lösungen für die meist inhabergeführten Geschäfte in den Innenstädten geben, um ihren Fortbestand zu sichern.“
Verärgert sind Gutjahr und die umliegenden Einzelhändlerinnen auch wegen der Aufforderungen der Landesbank, die Corona-Soforthilfe zurückzuzahlen. „Wir haben das Geld als Zuschuss verstanden, nicht als Darlehen“, sagt Gutjahr. „Für die Rückzahlung müssen nun manche Einzelhändler ihre Lebensversicherung auflösen“. Fadime Tuncer bedauert, dass dies von den verantwortlichen Stellen von Anfang an nicht klar kommuniziert wurde: “Das hätte besser laufen müssen.“
Auch Alexandra Ebert-Rödel vom Design- und Einrichtungslädchen „Das Lieblingsstück“ kann manche Corona-Entscheidung nicht nachvollziehen. „In der Gastronomie wurde die Mehrwertsteuer reduziert. Für die Gastronomen gab es weit mehr Unterstützung als für den Einzelhandel.“ Sie selbst begegnet dem Problem der fehlenden Laufkundschaft mit viel Werbung auf den Sozialen Medien und regelmäßigen Events in ihrem romantischen Hinterhof.
Gisela Ballhaus vom Kunsthandwerk- und Geschenkeladen Zehender bedient mit einem bunten, fair gehandelten Angebot „eine spezifische Kundschaft, die ohnehin auf die klimabewusste Anreise achtet". Sie wünscht sich ebenfalls, dass das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel „kostengünstiger und attraktiver“ wird. Für den Radverkehr hofft sie auf weniger Gefahrenquellen, zum Beispiel durch „klare Überholverbote an Engstellen“. Anfänglich dankbar für die „unbürokratische“ Corona-Hilfe, war das Zurückzahlen auch für sie ein Kraftakt. „Mein buntes Geschäft ist seit 1957 sozialer Treff- und Anlaufpunkt quer durch alle Generationen“, sagt Gisela Ballhaus, „aber ohne die vielen Gäste, die unser schönes Weinheim besuchen, könnte der Laden nicht existieren.“
„Für eine lebendige Innenstadt ist ein gut aufgestellter Einzelhandel essentiell“, sagt Fadime Tuncer. „Ich nehme die Anregungen und Kritikpunkte mit, um mit der Kommunalpolitik und auf Landesebene die Herausforderungen anzugehen“.
Presseberichte über meine Gespräche in der Weinheimer Grabengasse sind am 3. September 2024 in der Printausgabe der Rhein-Neckar-Zeitung erschienen sowie am 2. Oktober 2024 in den Weinheimer Nachrichten.