Den Presseartikel "Das sind die größten Sorgen der Betriebe" zu meiner Wirtschaftstour mit Tayfun Tok finden Sie hier (der Artikel ist hinter einer Paywall). Der Artikel ist am 10. Oktober 2024 in der Rhein-Neckar-Zeitung erschienen.
Hier ist unser Bericht:
Tuncer & Tok auf Wirtschaftstour in Schriesheim
Landtagsabgeordnete besuchten vier lokale Unternehmen. Die mittelständischen Betriebe sind auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen. Auch Geflüchtete sind gut in die Firmen integriert.
Personalmangel, fehlende Nachfolge, zu viel Bürokratie und die geschlossene Metzgerei Urban am alten Rathaus – das sind die drängendsten Probleme der umliegenden Schriesheimer Betriebe. Die beiden Grünen-Landtagsabgeordneten Fadime Tuncer und Tayfun Tok besuchten jetzt im Rahmen ihrer gemeinsamen Wirtschaftstour die Bäckerei Heiß, das Reformhaus Dr. Rufer, den Orthopädischen Schuhtechniker Wintermantel und die Metallbau-Firma Gassert. „Wie ist die Stimmung, was beschäftigt Sie, wo drückt der Schuh?“ fragte der Betriebswirt aus dem Landkreis Ludwigsburg die lokalen Unternehmer.
Und so unterschiedlich die besuchten Betriebe auch sind, so ähnlich sind doch die Sorgen: gute Auftragslage, treue Kunden, aber Mangel an Azubis und Fachkräften. „Ohne unsere ausländischen Mitarbeitenden könnten wir den Betrieb nicht stemmen“, sagt der Bäcker- und Konditormeister Stefan Heiß. Er hat jüngst vier Azubis aus Pakistan und Afghanistan erfolgreich durch die Ausbildung gebracht; Martin Wintermantel wartet gerade auf zwei neue Lehrlinge aus Nepal. „Wir beschäftigen Mitarbeiter mit Migrationshintergrund aus zehn Nationen, deren Mitarbeit und Expertise den Erfolg und die Zukunft dieses Unternehmens sichern“, so der Schuhtechniker. Die Geschäftsführer der Firma Gassert, Matthias Kunze und seine Schwester Kathrin, hoffen, dass ein künftiger Mitarbeiter aus dem Kosovo endlich eine Einreisegenehmigung bekommt. Aber: „Das Kontingent für Arbeitskräfte, die nach der Westbalkanregelung einreisen dürfen, ist aktuell erschöpft; deshalb kann er nicht kommen“, berichtet sie. Tuncer sagt zu, dem Fall nachzugehen. Seit April arbeitet auch ein junger Mann aus der nahen Unterkunft für Geflüchtete im Betrieb, „und das klappt gut“, so Kunze.
„Ich freue mich sehr, dass unsere lokalen Betriebe gerade auch Geflüchteten eine Chance geben und gute Ausbildungserfolge erzielen“, sagt Tuncer, die in der Grünen-Landtagsfraktion Sprecherin für Integration ist. „Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und der neuen baden-württembergischen Landesagentur für Zuwanderung von Fachkräften soll der Zuzug von Fachpersonal aus dem Ausland spürbar erleichtert werden“, so die Abgeordneten.
Aber auch in Deutschland müsse mehr getan werden, um wieder junge Menschen für das Handwerk zu begeistern, sind sich die Unternehmer und die Politiker einig. „Die Schulen müssen mehr tun, auch Abiturienten sollten in den Betrieben schnuppern. Die Gesellschaft insgesamt müsste das Handwerk wieder mehr wertschätzen“, sagt Heiß. Tayfun Tok, selbst Sohn einer Bäckerin, sieht das ähnlich: „Es nützen alle Werbekampagnen nichts, wenn eine handwerkliche Ausbildung nicht in den Elternhäusern gefördert wird“.
Als wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion besucht Tok regelmäßig mittelständische Unternehmen, Einzelhändler und Start-ups in ganz Baden-Württemberg. Besonders das Nachfolge-Problem treibt ihn um, und das ist auch in Schriesheim Thema. Gegründet 1929 in Ladenburg, damals um Kriegsversehrte und Menschen mit Polio-Missbildungen mit geeignetem Schuhwerk zu versorgen, übernahm Wintermantel den Betrieb von seinem Lehrmeister Hermann Scherer und führte ihn erfolgreich weiter. Doch eine Nachfolge außerhalb der Familie funktioniere nicht immer, weiß Renate Heiß aus dem Bekanntenkreis.
Neben den Personalsorgen belasten auch Bürokratie und das Veröden der Innenstädte: „Nach 12 Stunden in der Backstube sitze ich noch vier Stunden im Büro“, sagt Heiß, der nachhaltig wirtschaftet, teilweise Biolandzertifiziert ist und mit der Dokumentation von Hygiene- und Veterinärauflagen viel Zeit verbringt. Dass die gegenüberliegende Metzgerei Urban diesen Sommer ihre Pforten für immer geschlossen hat, bedauern er und Dr. Matthias Rufer vom Reformhaus sehr. „Die Metzgerei war ein Magnet“, sagt der studierte Mediziner: „Wenn einer zumacht, hat das Auswirkungen auf alle anderen.“
Wie der Staat unterstützen kann – bei der Suche nach Personal, der Förderung des Handwerks, der Belebung der Innenstädte, der Optimierung der Rahmenbedingungen – das wollen Tuncer und Tok in ihren Gesprächen herausfinden. Ausreichende Darlehen für junge Meister zur Betriebsgründung, Steuerbefreiung bei Überstunden, Entschlackung bei Dokumentationspflichten, Betriebspraktika für Abiturienten – den erfolgreichen Schriesheimer Unternehmern mangelt es nicht an Ideen.
Firmeninhaber Kunze sieht sich als Unternehmer vor allem selbst in der Verantwortung. „Wir probieren innovativ zu sein, gehen neue Wege, um neue Mitarbeiter zu gewinnen!“ Mit einem hochprofessionellen, funkensprühenden Web- und Insta-Auftrit wirbt #teamgassert für seine teamorientierte, wertebasierte und zukunftsweisende Unternehmensphilosophie. „Wenn wir unseren Job gut machen, sind wir auch erfolgreich“, ist Kunze überzeugt. Neben Brandschutztüren aus Alu- und Stahlprofilen verbaut Gassert auch elektrische Schiebetüren – die Verbindung aus Metallbau mit Elektrik zeichnet den mittelständischen Betrieb aus. „Das ist das richtige mindset“, lobt der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, die aktuell unter dem Kampagnen-Motto „Einfach machen“ auf Bürokratieabbau hinarbeitet. Tok und Tuncer versprechen, die Anregungen der Schriesheimer Unternehmer mit nach Stuttgart zu nehmen.