Die Welt der Ladenburger Draußenschüler ist schon an normalen Schultagen spannend. Wenn die regelmäßige Exkursion mit dem Tag der Freien Schulen, dem 20. Vorlesetag der Stiftung Lesen und dem Thema Planeten zusammenfällt, dann wird die Vielfalt exorbitant. So dreht sich beim ersten Ausflug von 26 Kindern und vier Lehrkräften zu den Drei Eichen im Dossenheimer Wald alles um unser Sonnensystem, die Lunge unseres Planeten – und ein wenig auch um den Besuch der Landespolitikerin Fadime Tuncer. Die Abgeordnete begleitete dieses Jahr am 17. November die Ladenburger Draußenschule in die Nachbargemeinde.
Die grüne Landtagsabgeordnete hat das Buch „Hörst Du wie die Bäume sprechen?“ von Peter Wohlleben zum Vorlesetag mitgebracht. „Wovon ernähren sich Bäume?“ fragt Tuncer, selbst Mutter von zwei Kindern, an ihrer Sachkunde-Lernstation. „Von Wasser“ ruft ein Junge im blauen Anorak. „Von Luft und Liebe“ witzelt ein zweiter. „Ja, fast“, lacht die Politikerin. „Und wie atmen und trinken sie?“ Erneut recken sich die Hände: „Mit den Wurzeln und Blättern“. Wie genau das funktioniert, liest sie den Kindern aus dem Erzählband vor.
Unter dem Motto „Schenken Sie uns eine (Schul-)stunde Ihrer Zeit“ ruft die Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen Baden-Württemberg (AGFS) seit acht Jahren die Abgeordneten des Landtags auf, im November eine Freie Schule in ihrem Wahlkreis zu besuchen. Mit ihrem Besuch will Tuncer auf die Bedeutung der Freien Schulen in der baden-württembergischen Schullandschaft hinweisen. „Freie Schulen ergänzen unser staatliches System durch besondere pädagogische Ansätze und Schwerpunkte enorm“, würdigt sie deren Arbeit. „Dass mit der Ladenburger Draußenschule eine so innovative und einzigartige Schulform bei uns beheimatet ist, freut mich sehr“, sagt sie. „Die Bewegung draußen und die Interaktion mit der Umwelt fördern das Lernen der Kinder, ihre Sozialkompetenz und Liebe zur Natur. Das hat sich schon bei den Waldkindergärten bewährt“.
Die Draußenschule, eine staatlich genehmigte, gebundene Ganztagsschule, besteht seit dem Schuljahr 2021 / 22 im Ladenburger Waldpark. Mittlerweile unterrichten dort sieben Lehrkräfte 34 Kinder in altersgemischten Gruppen fächerübergreifend. „Wir haben gerade selbst Champignons gezogen und einen Slow Motion Film dazu gemacht, bei einer Exkursion Pilze gesammelt und im Kunstunterricht aus Pappmache Pilze gebastelt“, berichtet Schulleiterin Carolin Rückert. Die Kinder lernen, welche Pilze giftig sind und welche Rolle sie im Wald spielen. Und natürlich werden sie in den Körbchen gezählt, addiert und subtrahiert.
In der Generationenwerkstatt engagieren sich Eltern, lokale Vereine und Akteure der Ladenburger Stadtgesellschaft zu bestimmten Themen. Klar, dass die Kinder auch neugierig sind, was Tuncer als Politikerin so macht. „In der Landespolitik kümmern wir uns zum Beispiel um Schulen und die Polizei“, erklärt sie. „Und als Abgeordnete vertrete ich die Interessen der Menschen aus Ladenburg im Parlament in Stuttgart“.
Nach 20 Minuten wechseln die Kinder von der Landespolitikerin an der Picknickbank zur Waldpädagogin auf der Lichtung. Dort ertasten die Kinder mit verbundenen Augen Rinden und Blätter so gründlich, dass sie ‚ihren‘ Baum mit geöffneten Augen wiederfinden. „Die Kinder lernen einander zu vertrauen, erleben und begreifen Bäume und Wald mit allen Sin-nen“ erläutert Carolin Rückert. Die Hainbuchen erkennen die Kinder an den gezahnten Blatträndern und am knubbeligen Stamm, die Kiefern an der rauen, rissigen Borke.
Auch Mathe und Deutsch unterrichtet das Team heute draußen. So berechnen die Kinder mit Hilfe von Mathelehrer Timo Storz die Abstände der Planeten maßstabsgetreu und stel-len das Universum auf dem Waldboden dar. Die Pfütze auf dem Parkplatz markiert die Sonne. Von dort hangeln sie sich am Planeten-Merksatz entlang: Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unseren Nachthimmel. „Welcher Planet ist der Sonne am nächsten?“ fragt Storz. „Merkur“ ruft ein Mädchen im rosafarbenen Anorak. „Genau! Und wo musst Du Dich hinstellen, wenn Merkur knapp 60 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt ist?“ Die älteren Schüler haben es flugs berechnet: einen Schritt von der Pfütze entfernt, bei 60 Zen-timetern. Neptun ist mit 4500 Millionen Kilometern Entfernung der achte und letzte Planet des Sonnensystems. Mit dem Maßband schreiten die Schüler:innen die entsprechenden 45 Meter ab und markieren kurz vor der Waldstraße das Ende ihres Universums.
Unterdessen sitzen drei Kinder mit Klemmbrettern auf einem Baumstumpf und kauen auf ihren Bleistiften. Lehrerin Eva Neumann hat ihnen gerade die Gedichtform Elfchen erklärt, die aus elf Wörtern in fünf Zeilen besteht. Und auch an der Deutsch-Lernstation gibt es er-staunliche Ergebnisse: „Rakete. Im Weltraum. Sterne, Planeten, Sternbilder. Der Mars ist rot. Saturn“, dichtet die Erstklässlerin Elisa. Fadime Tuncer ist sichtlich beeindruckt: „Die Draußenschule zeigt, dass ganzheitliches Lernen in der Natur bestens funktioniert. Hoffentlich macht das Konzept Schule.“
Eine Veröffentlichung in der Ladenburger Zeitung zu meinem Besuch in der Draußenschule finden Sie hier.