Die grüne Landtagsabgeordnete Fadime Tuncer informiert sich in Weinheim
über Perspektiven und Herausforderungen der Bäcker-Branche.
Die Azubis Malachie, Benjamin und Louis kriegen richtig was gebacken. Nicht nur die leckeren Laugenbrezeln, die sie an diesem Vormittag bei Bäckermeister Wolfgang Furtner in den Ofen schieben. Sondern auch in ihrem Leben. Der eine ist aus dem Kongo geflüchtet und macht jetzt seine Lehre bei Bäcker Görtz in Ludwigshafen. Der nächste will den väterlichen Betrieb Stübig in Bad Harzburg von 1680 in der 11. Generation fortführen. Und auch der dritte hat sich mit 17 Jahren klar festgelegt: Ausbildung in der Backstube der Bäckerei Claus bei Dresden.
„Klasse, dass die jungen Männer genau wissen, was sie wollen und so für ihr Handwerk brennen“, sagt die Landtagsabgeordnete Fadime Tuncer bei ihrem Besuch in der Bundesakademie des Deutschen Bäckerhandwerks in Weinheim anerkennend. Gemeinsam mit der Ortsvorsitzenden der Weinheimer Grünen, Brigitte Demes, informierte sie sich vor Ort über das Angebot der zentralen Fachschule aller deutschen Bäcker-Landesinnungsverbände und die Herausforderungen, vor denen die Branche steht.
Die drei jungen Azubis sind repräsentativ für die hochmotivierten Bäckerlehrlinge und angehenden Meister, Verkaufsleiterinnen und Betriebswirte, die in der Zweiburgenstadt ihre Fortbildungen absolvieren. Von Brotkursen für Quereinsteiger, Veganer Patisserie und Hochzeitstorten-Highlights hin zu Seminaren in Betriebswirtschaft, Konfliktmanagement und Führungskompetenz bietet die Akademie im Waldschloss eine reiche Auswahl an Fortbildungen. Auch Schokoladen- und Brot-Sommelier kann man in Weinheim werden, was „weltweit einzigartig“ sei, berichtet Direktor Bernd Kütscher.
So mitreißend wie der Bäckermeister und Betriebswirt von seinem traditionsreichen Handwerk berichtet, müssten Ausbildungsplätze eigentlich weggehen wie warme Semmeln: Brot ist Kulturgut, seine Herstellung aus den einfachsten Zutaten Mehl, Wasser und Salz grenze an „Zauberei“ und der Bäckerladen sei „die Seele eines Ortes“. Seit 2014 ist die deutsche Brotkultur mit ihrer einzigartigen Vielfalt von über 3000 Brotsorten UNESCO-Weltkulturerbe. Seit 16 Jahren bietet die Akademie Social Media Fortbildungen für ihre Zunft an und macht mit digitalen Inszenierungen die Backstube 2.0 für junge Leute attraktiv: „Backen ist wieder sexy“, sagt der dynamische 56jährige, der mit seinem Team eines der ältesten Handwerke in eine vielversprechende Zukunft führen will.
Mit seinen visionären Ideen stemmt sich Kütscher gegen den Nachwuchsmangel in der Branche „Zu viele junge Menschen gehen ins Studium“, bedauert er. „Dabei werden fachlich gute Bäckermeister als Führungskräfte inzwischen von Headhuntern gesucht und verdienen große Summen“.
Schon längst hat der Experte geflüchtete Menschen als wertvolle Fachkräfte für sein Handwerk entdeckt. „In Syrien und anderen Ländern ist Bäcker ein angesehener Beruf. Ich wünsche mir, dass Geflüchtete mit Vorkenntnissen in der Branche in Weinheim untergebracht werden. Wir leisten hervorragende Arbeit im Bereich Integration und haben hochmotivierte Teilnehmende, die selbst bei weiter Anreise keinen Unterricht verpassen“, schwärmt er. Mit Fadime Tuncer, der Sprecherin für Integration der Grünen-Landtagsfraktion, ist sich Kütscher einig, dass den Geflüchteten die Wege in Ausbildung und Arbeit weiter erleichtert werden müssen. „Es ist nicht nachzuvollziehen, wenn junge Bäcker und Bäckerinnen kurz vor der Gesellenprüfung abgeschoben werden sollen“, kritisieren beide.
Der Nachwuchsmangel macht sich auch auf Meisterebene bemerkbar. 9200 Bäckereien in Deutschland mit insgesamt 46.000 Verkaufsstandorten werden von einem Meister geführt. Deutlich über 1000 Meister müssten deshalb jährlich von den verschiedenen Schulen bundesweit ausgebildet werden, so Kütscher. „Aber vergangenes Jahr waren es nur 260“. Er hofft, dass Künstliche Intelligenz „eine Renaissance des Handwerks“ einleiten werde. KI helfe Routinearbeiten zu erledigen und könne manche Studienberufe ersetzen, aber nicht den Handwerker. „Die Bäckerei im Ort ist eine soziale Plattform, wo sich Menschen begegnen und man mit seinem Nachbarn spricht“. Die soziale Funktion sei weder durch KI zu ersetzen, noch durch das Billigbrot aus hocheffizienter Industrieproduktion.
Mit den preiswerten Backwaren aus dem Discounter geht Kütscher kritisch ins Gericht. „Billigbrot ist nicht billig. Es zahlt nur ein anderer den Preis, nämlich die Umwelt“, kritisiert er den Prozess mit langen Transportwegen, Plastikverpackungen und mehreren Back- und Tiefkühldurchgängen. Auch sei das Brot aus industrieller Produktion eben nicht so bekömmlich wie das Qualitätsbrot vom regionalen Bäcker. „Es ist nicht der Weizen, der manchen Menschen Probleme bereitet, sondern die schnelle Verarbeitungszeit: Bei wenigen Minuten in der vollautomatischen Brotanlage statt bis zu 24 Stunden Teigreifungszeit beim Bäcker werden die natürlichen Fraßschutzstoffe, die dem Schutz des Getreides auf dem Feld dienen, nicht durch Fermentation abgebaut“, erklärt der Fachmann.
Die Zukunft des Handwerks sieht er einerseits in den hocheffizienten Filialbäckereien wie den regionalen Anbietern Görtz, Grimminger, Rauen oder Riegler, die nach alter Backkunst arbeiten, jedoch in größerem Stil. Andererseits auch bei den traditionellen Familienbetrieben mitten im Ort. Neu auf dem Markt seien zudem kleine, inhabergeführte Manufakturen mit begrenzter Auswahl, jedoch besonders hohem Qualitätsanspruch.
Noch backen der 24jährige Malachie Kitoko Nkosi, die 17jährigen Louis Stübig und Benjamin Fritzsche und die anderen zwölf angehenden Gesellen kleine Brötchen. Doch bei ihrer Motivation und der Qualität ihrer Ausbildungsstätten kann die Meisterschaft nicht mehr lange auf sich warten lassen. In der benachbarten Akademie-Backstube haben unterdessen die angehenden Meister ihre erlesenen Käsekuchen fertiggestellt und es duftet verführerisch. „Da kriegt man richtig Lust, professionelle Bäckerin zu werden“, würdigt Fadime Tuncer die Arbeit der Akademie.
Presseartikel zu meinem Besuch in der Akademie des Bäckerhandwerks sind in den Printausgaben der Weinheimer Nachrichten (19. August 2024) und der Rhein-Neckar-Zeitung (22. August 2024) erschienen.